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©Photo: © Keystone, ADRIEN PERRITAZ

25 März 2021

"Es macht keinen Sinn, für oder gegen Autos zu sein"

 Jean-François Steiert steht seit 2017 der Raumplanungs-, Umwelt- und Baudirektion (RUBD) vor und amtet 2021 als Präsident des Freiburger Staatsrats. Wir haben mit ihm über einige Themen gesprochen, die die Mobilität in unserem Kanton betreffen.

Das neue Mobilitätsgesetz ist eines der wichtigen Dossiers der Legislaturperiode für die RUBD. Wie ist der aktuelle Stand?
Es ist nicht nur ein wichtiges Dossier für die RUBD, sondern während dieser Legislaturperiode generell eines der grössten für den Staatsrat. Mit diesem neuen Gesetz verfolgen wir ehrgeizige Ziele: Der Grosse Rat hat eine Motion des TCS-Präsidenten, Eric Collomb, angenommen. Diese forderte, das Strassen- und das Verkehrsgesetz zu einem einzigen Gesetz zusammenzufassen. Dies hat es uns erlaubt, uns umfassend mit dem Thema Mobilität auseinanderzusetzen. Derzeit läuft das Vernehmlassungsverfahren. Wenn alles gut geht, wird sich der Grosse Rat im Herbst mit dem Gesetz befassen, so dass es 2022 in Kraft treten kann.

Welches Hauptziel verfolgt das Gesetz?
Der Lenkungsausschusses mit seinen Vertreterinnen und Vertretern sämtlicher Fraktionen und Vereinigungen im Mobilitätsbereich wollte jeder Bürgerin und jedem Bürger die Möglichkeit geben, das effizienteste und auf die persönlichen Bedürfnisse zugeschnittene Fortbewegungsmittel zu wählen. Jemand, der täglich von Plaffeien in die Broye zur Arbeit fährt, wird mittelfristig keine effiziente öV-Lösung finden. Fährt hingegen jemand aus La Tour-de-Trême jeden Tag mit dem Auto zur Arbeit in Bulle, bedeutet dies, dass wir ihm keine effiziente Lösung bieten konnten und wir ein Problem mit der Organisation der Mobilität haben.

Sie sprechen oft von Komplementarität. Wie kommt diese im Gesetz zum Ausdruck?
Es war stets das Ziel des Lenkungsausschusses, die Komplementarität der Verkehrsmittel zu fördern. Ein Beispiel: Mehr als jeder Zweite legt jeden Tag eine Distanz von weniger als 5 km mit dem Auto zurück. Von diesen Personen ist jeder Fünfte – bzw. 10 % der Menschen, die täglich mit dem Auto unterwegs sind – bereit, das Velo zu benutzen, sofern ihm Sicherheit und Effizienz geboten wird. Fallen nun diese 10 % in einem Stau mit 100 Fahrzeugen weg, so gibt es auch keinen Stau mehr. Dank einer besseren Veloinfrastruktur gelingt es also – ohne den geringsten Zwang auszuüben –, sowohl den Interessen derjenigen gerecht zu werden, die gerne mit dem Velo fahren würden, als auch jener, die weiterhin ihr Auto benutzen, jedoch weniger Zeit auf der Strasse verbringen. Ist es bei gleichem Effekt wirtschaftlicher, die Strassen zu verbreitern oder die Bedingungen für Velos zu verbessern? Im Rahmen des durch das Gesetz geförderten ganzheitlichen Ansatzes vergleichen wir die Lösungen und wählen anschliessend die effizientesten aus, indem wir auch die Umwelterfordernisse in die Überlegungen einbeziehen. Es liegt auf der Hand, dass wir bei der Erarbeitung dieses Gesetzes den Kriterien der Nachhaltigkeit Rechnung tragen müssen.

Welche Rolle spielt die Raumplanung in der Mobilitätspolitik?
Sie ist von entscheidender Bedeutung. Wir wollen den Siedlungsraum entlang der Hauptverkehrswege konzentrieren. Die Mobilität ist das Herzstück eines komplexen Systems. Aufgrund der strukturellen Gegebenheiten des Kantons und der mangelnden Arbeitsplätze im Verhältnis zum Bevölkerungswachstum legen die Freiburgerinnen und Freiburger im Schweizer Durchschnitt am meisten Kilometer zurück. Viele von ihnen würden diese langen Fahrten gerne vermeiden. Die Mobilitätspolitik hängt also auch von unserer Industrie- und Wirtschaftspolitik ab. Wir müssen Arbeitsplätze schaffen.

Wie ist der Stand der Dinge hinsichtlich der Umfahrungsstrassen?
Im Herbst 2016 beantragte der Grosse Rat die Studie von sieben Umfahrungsstudien, zusätzlich zu den bereits im Grundsatz genehmigten Umfahrungsstrassen Marly-Matran und Düdingen. Der Staatsrat ist dazu da, die Entscheide der Legislative auszuführen und sie möglichst wirkungsvoll umzusetzen. Er hat daher Prioritäten gesetzt, wobei er teilweise den Empfehlungen der für diese Priorisierungsarbeit eingesetzten Kommission gefolgt ist. In seiner eigenen Analyse hat der Staatsrat die Kosten dieser Strassen, die Zahl der potenziell nicht mehr unter den Lärmbelästigungen leidenden Personen und die vorgesehene Realisierungszeit stärker gewichtet. Nach Rücksprache mit dem Freiburgischen Baumeisterverband war er zudem der Auffassung, dass die Bauunternehmen des Kantons nicht in der Lage sind, alle Projekte gleichzeitig auszuführen. Drei Projekte wurden daher als Priorität 1 eingestuft: Kerzers, Romont und Prez-vers-Noréaz. Für diese drei eingestuften Strassen ist die Planung im Gange und die Wahl der Trassenführung ist getroffen. Die Umfahrungsstrassen von Givisiez und Belfaux wurden als Priorität 2 eingestuft. Übrig bleiben die Umfahrungsstrasse von Courtepin, die aufgrund der Komplexität und des nicht offensichtlichen Nutzens keine Priorität hat, und Neyruz. Die Umfahrungsstrasse von Neyruz erlaubt es mir, die Verbindung zum neuen Mobilitätsgesetz herzustellen. Die Gemeinde hat den Kanton jüngst darüber informiert, dass ein Teil der Einwohnerinnen und Einwohner zur Eindämmung des Lärms im Dorf einer Sanierung gegenüber einer Umfahrungsstrasse den Vorzug geben würde. Nach dem derzeitigen Stand der Dinge kommt der Staat für die Baukosten einer Umfahrungsstrasse auf. Die Kosten einer Sanierung müsste hingegen die Gemeinde übernehmen. Das ist absurd: Die Gemeinden werden zu Umfahrungsstrassen gedrängt, auch wenn sie diese gar nicht wollen. Das Mobilitätsgesetz sieht Änderungen bei den Finanzierungsmethoden vor, damit sich künftig die beste Lösung durchsetzt und die Frage, wer bezahlt, keine Rolle mehr spielt.

Sie sind also nicht so autofeindlich, wie viele gerne behaupten?
Es macht nicht wirklich Sinn, für oder gegen Autos zu sein. Die Frage lautet vielmehr: Wann ist ein Auto nützlich und effizient und wann weniger? Ich gehöre zu den Gründern der ersten Niederlassungen der Genossenschaft Mobility in der Westschweiz. Ich fahre gerne Velo und denke, dass darin die Zukunft für kurze Distanzen liegt. Ich habe jedoch auch den LKW-Führerschein gemacht und als Chauffeur gearbeitet. Sie machen deutlich, wie wichtig Langfristigkeit für die RUBD ist.

In den letzten 15 Jahren ist jedoch kein Staatsrat länger als eine Legislaturperiode an der Spitze dieser Direktion geblieben. Haben Sie vor, dies zu ändern?
Es gefällt mir in der RUBD. Die Arbeit ist spannend. Wir beschäftigen uns mit Mobilität, Raumplanung, Raumordnung. Wir können über das Haushaltsjahr hinausdenken, Pläne für den Kanton bis 2040-2050 machen, uns fragen, was wir kommenden Generationen hinterlassen wollen. Die Klimapolitik, die nachhaltige Entwicklung sind Querschnittsthemen, die uns unabhängig von unseren parteipolitischen Überzeugungen vor langfristige Verantwortungen stellen. In der RUBD sind wir zudem gezwungen, sämtliche Aspekte der nachhaltigen Entwicklung in unsere Überlegungen einzubeziehen. Umgekehrt ist es undenkbar, die Umweltpolitik ohne wirtschaftliche und soziale Dimension anzugehen. Also ja, mir gefällt es in dieser Direktion. Ich denke auch, dass es sinnvoll ist, nicht in jeder Legislaturperiode die Direktion zu wechseln, sowohl auf Gemeinde- als auch auf Kantonsebene. Es braucht Zeit, um den Dingen auf den Grund zu gehen. Zu häufige Wechsel an der Spitze der Direktionen verleihen der Verwaltung zu viel Gewicht und das halte ich institutionell für keine gute Sache. Dazu muss man aber erst wiedergewählt werden. Die Verteilung der Direktionen erfolgt innerhalb des Staatsrats, in Abhängigkeit der Personen, Kompetenzen, der Kontinuität…

Sie unterstützen die Einführung von Tempo 30 in grossen Teilen der Stadt, anders als der TCS und andere Gruppierungen. Weshalb?
Das Bundesparlament hat ein Gesetz verabschiedet, das den Bürgerinnen und Bürgern Grenzwerte für Lärm garantiert. Wir müssen dieses Gesetz anwenden. Unsere Priorität ist es, schallabsorbierende Strassenbeläge zu verlegen, im Gegensatz zu anderen Kantonen, denen dies zu teuer ist und die zuerst die Geschwindigkeit begrenzen. Der Aargau und Freiburg gehören zu den Kantonen, die am meisten dieser Beläge verlegt haben. Wenn die gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte für Lärm nicht durch das Verlegen dieser schallabsorbierenden Beläge eingehalten werden können, können wir Lärmschutzwände errichten, die bei den Betroffenen selten beliebt sind und in der Stadt aus Platzmangel oftmals nicht gebaut werden können. Wir könnten Massnahmen an Fahrzeugen einführen, aber der Kanton hat keinen grossen Einfluss auf den globalen Automarkt. Wir könnten Anreize geben, damit die Autobesitzerinnen und -besitzer leisere Reifen kaufen, wir können sie jedoch nicht dazu zwingen. Letztlich können wir die Geschwindigkeit begrenzen. Das Bundesgericht hat in jüngster Zeit in mehreren Fällen in Zürich, Zug und anderen Regionen der Schweiz Urteile erlassen und grob vereinfacht gesagt: "Wenn durch Tempomassnahmen mindestens ein Dezibel gewonnen wird, müsst ihr diese ergreifen, bevor ihr den betroffenen Einwohnerinnen und Einwohnern sagt, dass ihr nichts tun könnt." Aber in Freiburg wird fast in der ganzen Stadt Tempo 30 eingeführt… Die Stadt hat uns Vorschläge mit drei Kategorien von betroffenen Strassen unterbreitet. Die erste Kategorie umfasst Strassen, in deren Umgebung viele Menschen trotz des schallabsorbierenden Belags immer noch von Lärm belästigt werden. In diesem Fall haben wir einfach keine Wahl, da der erste Einwohner, der vor Gericht geht, Recht erhalten würde. Die zweite Kategorie besteht aus Strassen, die an die erste Kategorie angrenzen. Es macht keinen Sinn, auf bestimmten Strassen Tempo 30 einzuführen und auf den angrenzenden Strassen Tempo 50 zu belassen. Jene, die weiterhin mit Tempo 50 fahren wollen, werden auf diese ausweichen und es werden neue Probleme geschaffen, indem die Grenzwerte für Lärm in anderen Wohnzonen überschritten werden. Die dritte Kategorie schliesslich umfasst Strassenabschnitte, die zwischen zwei Tempo-30-Zonen liegen, die für 200 bis 300 Meter mit Tempo 50 befahren werden könnten. Das macht nicht viel Sinn. In diese drei Kategorien fallen viele Strassen. Die Stadt Freiburg hat eine systemorientierte und kohärente Vision entwickelt. Ich habe durchaus Verständnis für die unterschiedlichen Meinungen, beispielsweise in Bezug auf die dritte Kategorie. Wir werden daher die Rückmeldungen zu den Vorschlägen der Stadt abwarten: An manchen Stellen wird niemand gegen Tempo 30 sein, an anderen wiederum wird es unterschiedliche Auffassungen geben und wir werden einen Entscheid fällen müssen.

Einige Leute vermuten, dass die Stadt und Ihre Ämter das Lärmproblem nutzen, um die Autos aus dem Zentrum zu verbannen. Was sagen Sie dazu?
Ich kann nur wiederholen, dass die Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h aus Lärmschutzgründen gesetzlich vorgeschrieben ist. Aber bei der RUBD sind wir natürlich überzeugt, dass der Anteil des öffentlichen Verkehrs und des Langsamverkehrs erhöht werden muss. Wir sind ebenfalls der Meinung, dass diese Erhöhung in erster Linie dadurch zu erreichen ist, dass diese Verkehrsmittel attraktiver gestaltet werden. Bei den öffentlichen Verkehrsmitteln bedeutet dies Schnelligkeit, Effizienz und Zuverlässigkeit, beim Langsamverkehr Sicherheit. Ich denke nicht, dass wir die Autofahrerinnen und Autofahrer absichtlich verärgern sollten, damit sie ihre Einstellung ändern. Eine Änderung der Denkweise oder Kultur darf nicht auf negativen Anreizen aufbauen. Wir verfügen immer noch über genug Potenzial an positiven Anreizen, so dass wir die Leute nicht mit Absicht verärgern müssen.

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